21 February 2024

Bewerten und Urteilen

Wie mein Urteil über die Dinge meine Lebensgeschichte mitschreibt.

Bewerten und darüber urteilen, ob be- oder verurteilen tun wir tagtäglich, in fast jedem Moment.

Wir nehmen mit unseren Sinnen die Umwelt wahr, doch was genau nehmen wir wahr? Unser Gehirn verarbeitet pro Sekunde ca 11. Millionen Sinneseindrücke, doch nur etwa 40 davon nehmen wir im Durchschnitt bewusst wahr.

Um den Alltag mit all den Eindrücken und Informationen gut zu meistern und weil unser Gehirn am liebsten effizient und energiesparend arbeitet, haben wir zusätzlich mit dem Hilfsmittel der Sprache Kategorien, Benennungen und Bezeichnungen eingeführt, um die Welt einordnen und auch darüber sprechen zu können.

Grundsätzlich ist das natürlich sehr nützlich, sonst bräuchten wir Stunden um eine Erfahrung in all ihren Facetten zu beschreiben. Wenn allerdings unsere Wahrnehmung auf Autopilot geschalten ist, was erleben wir dann noch tatsächlich?

Kleine Kinder sind die ganze Zeit am Staunen, sie entdecken alles in jedem Moment neu. Bei uns Erwachsenen treffe ich dieses Staunen seltener an (obwohl ich den Eindruck habe, es wird wieder mehr).


Wir benennen unsere Umwelt und unser Innenleben nicht nur, sondern wir sind auch sehr fleißig am bewerten. Ist etwas gut oder schlecht.

Wenn es darum geht, ob eine bestimmte Schuhgröße für mich gut oder schlecht passend ist, ist so eine Bewertung ebenso sehr hilfreich. Auch zu beurteilen ob bestimmte Mitarbeiter:innen in mein Team passen oder eine Partnerschaft Zukunft hat, ist wichtig für den weiteren Erfolg.

Wenn ich die Bewertung allerdings zu weit fasse und jedes Geschehen im Außen oder Innen unbewusst bewerte und vielleicht noch ein Urteil darauf lege, grenze ich nicht nur meinen Wahrnehmungsspielraum immer mehr ein, sondern gerate auch leichter in Konflikte.

Wie kann ich denn wissen, wie etwas tatsächlich ist, sich jemand tatsächlich fühlt, wenn ich nur Annahmen treffe aufgrund meiner Bewertungen und Urteile?

Unsere Wahrnehmung ist dann gefärbt und wir sehen alles nur noch durch eine bestimmte Brille (die rosarote Brille kennen wir sicher alle gut und ist fein zu genießen, wenn einem bewusst ist, dass man sie trägt).

Kindliche Freude

Was ist hier also unsere Verantwortung? Ein möglicher erster Schritt ist es, sich dieser Prozesse bewusst zu werden und in die Rolle des Beobachters zu schlüpfen. In der Beobachtung können wir wieder im Moment sein und selbstermächtigt entscheiden, wie wir reagieren wollen.

Das bedeutet in diesem Kontext, sich als neutrale:r Beobachter:in wirklich ehrlich anzusehen wo und wie man den ganzen lieben Tag lang bewertet und be-, verurteilt und was für eine Konsequenz das für unser eigenes Erleben hat. Das bringt zusätzlich als Nebeneffekt mehr Empathie und Verständnis für sich selbst und das Gegenüber.


Wie würde unsere Welt aussehen, wenn wir so neutral wir können, mit offenem Herzen und offenem, freien Geist unserer Umwelt begegnen, uns in den Spiegel schauen, den Partner wahrnehmen, als wäre es das erste Mal, mit kindlicher Freude und Neugier unserem Job nachgehen, neue Erfahrungen geschehen lassen.

Und wie können wir jetzt starten?


Bei uns. Jeden Tag. Schritt für Schritt. Bewertungen und Urteile loslassen und überraschen lassen, was für Wunder hinter der nächsten Ecke auf uns warten.

Und die Weisen sagen: Beurteile niemand, bis du an seiner Stelle gestanden hast.
J. W. von Goethe